Saturday, April 28, 2007

Der Jungbrunnen

(oder: Der Greis und die Poesie)

von Rolf-Peter Wille



Entrückt des Todes trüben Mythen
  entstrauchelte ein Greis der Gruft,
  liebwandelte im Frühling wieder.
Verzückt nun streicheln Blicke Blüten,
  durchflattern milde Sonnenluft
  und streifen süchtig um den Flieder.
Verwelkte Lippen summen Lieder
  und saugen süssen Wonneduft,
  der kitzelt die verrauten Nüstern.

Im Winde rieselt sanftes Flüstern.
Da lauscht nun der erstaunte Greis,
  und eine Stimme raunt so leis,
  so lieblich und so seltsam lüstern:


    "Die Greise, die Greise, sie sollen nicht sterben,
    Sie wollen den Zauber der Jugend erwerben
    Und baden im Bronnen
    Versunkener Wonnen."

    "Wir Nixen, wir Nymphen, wir werden Dich kosen
    Im duftenden Wasser der lieblichen Rosen.
    Spring, süsser Geselle
    In unsere Quelle!"

    "In unsere Quelle, in unsere Helle
    Spring schnelle, spring schnelle, Du süsser Geselle! 
    Wir werden Dir geben
    Das ewige Leben."


Fein lächelte das Greiselein
  verlockt von zarter Melodei.
Wie reizend lacht die Loreley
  der Quelle! Ei, wo mag sie sein?

Er schwebt und tanzet wie im Traum,
  der lustige Geselle.
Und unter einem Lindenbaum
  da sprudelt es so helle.
Es glitzert, funkelt, spritzt und sprüht
  im Wirbelspiel der Wogen.
Schon hat der Greis in Lust erglüht
  die Kleider ausgezogen.
Schon hüpft er nackig durch das Gras
  dem kühlen Quell entgegen.
Hinein! Hinein ins klare Nass
  springt köpflings er verwegen.


Ist er nun jung, der alte Wicht?
Wie mag es sein? 
Das weiss man nicht.

Er schrieb dies heitere Gedicht.